Leben mit einem humanoiden Roboter – warum jetzt die Zeit für unsere Debatten ist
Im Advent-Podcast „24 Tage, 24 Menschen, 24 Geschichten“ spricht Showhost Sascha Ladurner mit der US-Forscherin Emily Genatowski. Sie lebt in Wien – und teilt ihre Wohnung mit einem humanoiden Haushaltsroboter.
Es geht weniger um Science-Fiction und mehr um sehr reale Fragen: Was passiert, wenn Roboter in unserem Alltag auftauchen? Wer trägt Verantwortung? Und welche Rolle spielt Europa mit seinen strengen Regeln für KI?
Wer Emilys Geschichten – vom gescheiterten Stiegenhaus-Experiment bis zur Frage nach dem Straßenbahnticket für Roboter – direkt hören möchte, kann die ganze Folge mit Sascha Ladurner und Emily Genatowski gleich nach dieser Einleitung im Podcast-Player anhören.

Ich teile meinen Alltag mit einem Haushaltsroboter, um Erfahrungen zu sammeln – und anderen zu helfen, sich eine eigene Meinung zu häuslicher Robotik zu bilden.“
Wer ist Emily Genatowski – und warum lebt sie mit einem Roboter?
Sascha Ladurner stellt seine Gesprächspartnerin als „domestic AI robotics researcher“ vor: Emily Genatowski forscht an humanoiden Robotern, lebt Vollzeit mit einem humanoiden Roboter zusammen und ist gleichzeitig Doktorandin an der Universität Wien. Sie schreibt, spricht und dokumentiert ihren Alltag mit der Maschine – nicht als Technikdemo, sondern als gesellschaftliches Experiment.
Ihr Fokus liegt nicht auf spektakulären Funktionen, sondern auf den Reibungen: Wo scheitert der Roboter? Welche Konflikte entstehen im ganz normalen Leben? Und welche Fragen stellen sich plötzlich, wenn eine Maschine einen Platz im Haushalt, im Stiegenhaus oder in der Straßenbahn einnimmt?
Alltag mit einem Roboter – eher Tollpatsch als Terminator
Als Sascha Ladurner sie fragt, ob das eher nach „Aufstand der Maschinen“ oder nach Haushaltshilfe klingt, lacht Emily – und räumt mit vielen Klischees auf. Technisch, sagt sie, seien humanoide Haushaltsroboter noch weit davon entfernt, im Alltag wirklich zu helfen.
Es ist im Moment wie das frustrierendste Stück Technik im ganzen Haushalt – eher stolperndes Kleinkind als perfekte Haushaltshilfe.“
Der Roboter läuft gegen Möbel, ist schwer zu steuern, kann weder Kaffee holen noch Wäsche machen. Für Emily ist das genau der Zeitpunkt, an dem wir als Gesellschaft hinschauen sollten: Solange die Technik noch „eine Comedy of Errors“ ist, wie sie es nennt, lassen sich Risiken, Regulierungsfragen und kulturelle Spannungen in Ruhe diskutieren – bevor die Geräte massentauglich und „unverzichtbar“ werden.
Statt Effizienzsteigerung steht daher Beobachtung im Mittelpunkt: Wie fühlt es sich an, wenn eine Maschine durch die Wohnung stapft? Welche Emotionen löst das aus – Neugier, Faszination, Ablehnung, Angst? Genau diese Ambivalenzen will sie sichtbar machen.
Ticket, Versicherung, Verantwortung – wenn der Roboter mit der Bim fährt
Besonders anschaulich werden die Fragen rund um Verantwortung, als Sascha Ladurner auf eine Wiener Episode zu sprechen kommt: Emily wollte ihren Roboter mit den Wiener Linien fahren lassen. Wenn die Maschine sitzt und Platz braucht – braucht sie dann ein Ticket?
Die Antwort der Verkehrsbetriebe: Ein Jahresticket erfordert einen gemeldeten Wohnsitz. Also versuchte Emily, den Roboter an ihrer Adresse in Wien anzumelden – und landete mitten im bürokratischen Labyrinth. Parallel dazu rief sie ihre Versicherung an, um ihre Haushaltsversicherung zu erhöhen, falls der Roboter Möbel oder Wohnung beschädigt. Dort legte man auf, weil man die Geschichte für einen Scherz hielt.
Natürlich sollte ein Roboter ein Ticket haben, wenn er einen Sitzplatz nutzt. Und wir brauchen neue Versicherungsmodelle für autonome Roboter – aber wer schließt die eigentlich ab?“
Aus diesen Alltagsanekdoten werden Grundsatzfragen:
- Wer haftet, wenn ein Roboter in der Straßenbahn jemanden verletzt – Hersteller, Besitzerin, Betreiber?
- Braucht es eigene Versicherungspolicen für autonome Systeme?
- Ab wann ist ein Roboter „Mitfahrender“ und nicht mehr „Gepäckstück“?
Was wie eine skurrile Glosse klingt, zeigt sehr konkret, wie schnell technische Innovation an rechtliche und kulturelle Grenzen stößt.
EU, USA, China – was Regulierung mit unserem Blick auf KI macht
Sascha Ladurner interessiert sich besonders für Emilys Sicht auf Europa. Als US-Amerikanerin, die mit einem chinesischen Roboter unter EU-Regeln arbeitet, kennt sie drei Welten gleichzeitig: die weitgehend marktgetriebene US-Techszene, den chinesischen Produktionskontext und den europäischen Rechtsrahmen mit DSGVO und EU AI Act.
Um den Roboter in Wien betreiben zu können, mussten Hardware und Software stark angepasst werden:
- keine biometrische Erfassung von Personen
- keine dauerhafte Datenspeicherung außerhalb der EU
- genaue Risikoanalyse nach Vorgaben des EU AI Act
Während Gesprächspartner:innen aus den USA vor allem Angst vor Datensammeln und Überwachung durch KI haben, erlebt Emily Gespräche in Europa anders:

Menschen in der EU fühlen sich durch DSGVO und den EU AI Act besser geschützt. Dadurch können sie sich auf andere Fragen konzentrieren: soziale Kohäsion, Menschenwürde, Lebensqualität.“
In Europa, sagt sie, gehe es in Diskussionen viel häufiger um:
- Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Sozialstaat
- sozialen Zusammenhalt, Familienleben, Beziehungen
- die Frage, wie viel Technik wir in unseren Städten und Wohnungen überhaupt haben wollen
Daraus leitet Emily eine spannende Perspektive ab: Europa könne zu einem Ort werden, an dem KI und Robotik nicht primär unter dem Blickwinkel „Innovation um jeden Preis“ betrachtet werden, sondern unter dem Gesichtspunkt eines menschlichen, lebenswerten Alltags.
Von Museen zu Maschinen – Emilys Weg nach Wien
Auf die persönliche Frage von Sascha Ladurner, wie sie bei KI und Robotik gelandet ist, erzählt Emily von einem Weg zwischen Kultur und Technologie: Studium in Geschichte und Museumswissenschaft, dann digitale Projekte für Museen und später Arbeit bei Google Arts & Culture, wo sie früh mit KI-Technologien wie Natural Language Processing in Berührung kam.
Nach einigen Jahren in der Techwelt stieß sie über ein TikTok-Video auf humanoide Roboter für den Haushalt und kontaktierte den chinesischen Hersteller Unitree – mit sehr konkreten Fragen: Was passiert mit Hunden, Kleinkindern, empfindlichen Möbeln, Kabeln am Boden? Die überraschende Antwort: Das hatte niemand getestet.
Für Emily war klar: Bevor solche Roboter in westliche Wohnzimmer kommen, braucht es reale Tests in echten Wohnungen – mit Hund, Freundeskreis, Nachbar:innen und all dem Chaos, das ein Alltag nun einmal mit sich bringt. Wien wurde für dieses Experiment der ideale Ort: familiäre Wurzeln in der ehemaligen k.u.k.-Monarchie, hohe Lebensqualität und eine dichte Kultur- und Forschungslandschaft.
Was wir heute über Roboter in unserem Alltag entscheiden können
Wenn Sascha Ladurner zum Schluss nach der Zukunft fragt, bleibt Emily bewusst ambivalent. Technisch, sagt sie, dürften humanoide Roboter in 15 bis 20 Jahren in vielen Haushalten angekommen sein – so selbstverständlich wie Smartphones heute. Gleichzeitig rechnet sie damit, dass es Regionen und Gemeinden geben wird, die sich ganz bewusst dagegen entscheiden.

Sie bringt Beispiele wie E-Scooter oder E-Bikes: In manchen Stadtvierteln erlaubt, in anderen bewusst verbannt. Warum nicht Ähnliches mit Robotern? Wohnhäuser, Schulen, Gemeinden könnten entscheiden, ob sie solche Systeme zulassen oder nicht. Für Emily ist wichtig, dass es ein „Opt-in“ bleibt – keine Technologie, der man sich kaum entziehen kann.
Ihr Weihnachtswunsch zum Abschluss des Gesprächs ist erstaunlich einfach: Menschen sollen offen bleiben, Roboter einmal zu sehen, darüber zu sprechen, am Esstisch zu diskutieren – und sich eine eigene Meinung zu bilden, bevor die Geräte massenhaft im Alltag auftauchen.
Das ganze Gespräch können Sie auch gleich hier nachhören:
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Der Song zum Podcast ist „We are the Robots“ von Kraftwerk.
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Der Podcast wird produziert von der Agentur Quickdraw Podcasts
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Diese Podcastserie entsteht mit Unterstützung des ÖGV – Österreichischer Gewerbeverein
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